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Wer wir sind
Wer wir sindDie Internationale Organisation für Migration (IOM) gehört zum System der Vereinten Nationen und ist die führende zwischenstaatliche Organisation, die sich seit 1951 für eine menschenwürdige und geordnete Migration zum Wohle aller einsetzt. Sie hat 175 Mitgliedsstaaten und ist in über 100 Ländern vertreten. Deutschland ist der IOM im Jahr 1954 beigetreten.
Über uns
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IOM Global
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Unsere Arbeit
Unsere ArbeitAls führende zwischenstaatliche Organisation, die sich seit 1951 für eine menschenwürdige und geordnete Migration einsetzt, spielt die IOM eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Agenda 2030. Sie unterstützt in verschiedenen Interventionsbereichen, die sowohl humanitäre Hilfe als auch nachhaltige Entwicklung miteinander verbinden. In Deutschland setzt die IOM Projekte in den Bereichen Schutz und Unterstützung für Migrant:innen um, engagiert sich für ihre Rechte und fungiert als Verbindungsstelle für die von Deutschland finanzierten, weltweiten IOM-Aktivitäten.
Was wir machen
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Freiberg, 24. Februar 2023 - Tetiana hält ein einzelnes Stück Papier in ihren Händen. Nach neun Jahren ist es an den Rändern ein wenig ausgefranst. Der Druck hat begonnen zu verblassen. Aber sie hält es fest - nicht nur, weil es sie an ihre Heimat erinnert, sondern auch, weil es für ihre lange Reise in die Sicherheit steht.
Als sie aufwuchs, träumte Tetiana immer davon, an den Ort ihrer Geburt zurückzukehren. Aber sie hätte sich nie vorstellen können, dass sie dies als Geflüchtete tun würde.
1975 wurde sie als Kind ukrainischer Eltern in Dresden geboren und zog im Alter von fünf Jahren mit ihrer Familie nach Donezk in der Ostukraine.
Tetianas Geschichte der Vertreibung beginnt im Jahr 2014. Als der Konflikt in Donezk ausbrach, wurde ihr klar, dass sie keine andere Wahl hatte als zu fliehen. Im April desselben Jahres begannen bewaffnete Gruppen in Donezk Gebäude zu beschlagnahmen. Die Situation spitzte sich zu, als bewaffnete Männer in ihr Büro eindrangen und ihr Reisebüro mit vorgehaltener Waffe beschlagnahmten. Am Nachmittag kaufte sie ein Zugticket und floh nach Kiew.
Fünf Jahre später ist dieses Stück Papier der einzige Gegenstand, der sie an ihre Heimat und an ihren Kampf um Sicherheit für sich und ihre Familie erinnert. Kiew wurde zu einem Zufluchtsort vor dem erdrückenden Konflikt in der Ostukraine, aber nicht für lange. Am 22. März letzten Jahres war sie erneut gezwungen zu fliehen - dieses Mal über die Grenze. Jetzt lebt sie in Freiberg und weint, während sie eben jenes Zugticket entfaltet, das ihr seit Beginn des Krieges und nach ihrer Reise geblieben ist.
In Kiew erhielt Tetiana ein Lebensunterhaltszuschuss von der IOM mit Unterstützung der deutschen Regierung durch die KfW Entwicklungsbank. Als Absolventin der Wirtschaftswissenschaften und versierte Unternehmerin nutzte Tetiana den Zuschuss, um ein florierendes Geschäft mit Brautkleidern aufzubauen.
„Das Leben hatte sich langsam wieder normalisiert. Das Geschäft lief gut in Kiew. Ich liebte die Stadt, sie war pulsierend. Aber wie alle anderen wurden auch wir von der COVID-19-Pandemie getroffen, und die Nachfrage nach unseren Kleidern ging zurück. Wir mussten neue Wege finden, um zu überleben.”
Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, fanden sie und ihr kleiner Sohn Volodymyr Schutz bei NachbarInnen, die ihren Keller in einen Luftschutzkeller verwandelt hatten. „Aber ein Keller ist kein Ort für ein kleines Kind”, sagt Tetiana. „Volodymyr wurde krank”.
Sie beschloss, mit ihrem Sohn und ihrer 75-jährigen Mutter aus Kiew zu fliehen, zunächst in die westukrainische Stadt Uzhhorod. Dort erlebte sie aus erster Hand die Hilfsbereitschaft ihrer ukrainischen MitbürgerInnen, die den Vertriebenen ihre Häuser und Lebensmittel zur Verfügung stellten. Aber Tetiana wollte leben, nicht nur überleben.
Die IOM schätzt, dass in der Ukraine weiterhin 5,4 Millionen Menschen als Binnenvertriebene leben, wobei 58 Prozent aller Binnenvertriebenen seit sechs Monaten oder länger vertrieben sind. Während sich der Krieg hinzieht, sind inzwischen über 5,5 Millionen Menschen in ihre Heimat zurückgekehrt. Doch 75 Prozent der Rückkehrenden gaben an, dass viele Menschen in ihrer Region aufgrund des Krieges kein Geld verdienen können, und 65 Prozent sagten, dass die Wohnhäuser in ihren Heimatgebieten beschädigt sind.
Wohin soll man gehen?
Auf der Suche nach einem neuen Ort, um ihr Leben wieder aufzubauen, hörte sie auf das Zeichen in ihrem Reisepass. „Ich liebte Kiew, aber ich wusste, dass ich nicht zurückkehren konnte. Ich öffnete meinen Pass und sah ‚Dresden‘ unter ‚Geburtsort‘. Und so wurde die Wahl getroffen.” Sie beschloss, nach Deutschland zurückzukehren, in der Hoffnung, dass es sie so willkommen heißen würde, wie es ihre Eltern willkommen hieß. Durch Empfehlung erfuhr sie von der Unterstützung in Freiberg, einer Stadt mit 40.000 Einwohnern unweit ihres Geburtsortes.
Seit dem Beginn des Krieges hat Sachsen fast 105.000 ukrainische Geflüchtete aufgenommen, vor allem Frauen und Kinder. „Wir sind eine kleine Stadt, aber die Unterstützung, die wir erhalten, ist immens. Ich bereue es nicht, hierher gekommen zu sein”, erklärt Tetiana.
„Freiberg ist sehr angenehm und es gibt viel Unterstützung für Geflüchtete. Viele UkrainerInnen sind vor fast zehn Jahren hierher gekommen und haben sich für uns Neuankömmlinge eingesetzt. In der Freiberger Stadtbibliothek gibt es sogar Regale mit ukrainischen Büchern für Kinder und Erwachsene.”
Tetiana verbringt die meiste Zeit mit dem Versuch, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Bereits im Juni letzten Jahres hat sie sich für Einführungskurse eingeschrieben, in denen sie Deutsch, aber auch die Geschichte, Kultur und Politik des Landes lernt. Die Kurse finden drei Stunden pro Tag an vier Tagen in der Woche statt. Sie gehört zu einer Gruppe von 16 Schülern, darunter vier weitere UkrainerInnen, aber auch Menschen aus Indien, Afghanistan und Pakistan. Der Deutschunterricht läuft gut, aber sie macht sich Gedanken über die vielen Dialekte im Land. „Ich befürchte, wenn ich jemals anderswo im Land unterwegs bin, wird niemand meinen sächsischen Dialekt verstehen”, lacht sie.
Langsam gewöhnt sie sich an die Gewohnheiten ihrer neuen NachbarInnen, an deren Essen, an die Heiligkeit der Sonntage, an denen alles geschlossen ist, und an ihre Sehnsucht nach dem quirligen Kiew, das immer noch ihre Lieblingsstadt ist.
Tetiana hat von der deutschen Regierung Unterstützung in Form von Unterkunft, Bildung und anderen Leistungen erhalten. Ihre Wohnung ist klein, aber die Familie, mit Ausnahme ihres Mannes, der in der Ukraine bleiben musste, bleibt zusammen..
Seit Beginn des Krieges sind mehr als 1 Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, und 881.399 haben sich für einen vorübergehenden Schutz registrieren lassen. Damit steht Deutschland an zweiter Stelle der Länder, die Menschen aufnehmen, die für einen vorübergehenden Schutz oder für ähnliche nationale Schutzprogramme registriert sind (UNHCR, Stand: 31. Januar 2023). In ganz Europa wurden fast 8,1 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine registriert (Stand: 21. Februar 2023). IOM Deutschland hat in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und anderen UN-Organisationen rund 450.000 Personen sowohl online als auch offline mit Informationsmaterialen zu einer Reihe von Themen wie unter anderem den Gefahren des Menschenhandels, geschlechtsspezifischer Gewalt, Arbeitsausbeutung und psychosozialer Unterstützung erreicht. Außerdem wurden Schulungen für Ersthelfende und Mitarbeitende des Staates und der Zivilgesellschaft angeboten.
Was ihre Zukunft betrifft, so bleibt in Freiberg wenig Zeit für unternehmerische Pläne. Tetiana konzentriert sich darauf, Deutsch zu lernen. Nach Abschluss des Kurses wird sie sich beim Arbeitsamt in Freiberg melden können. „Ich habe immer davon geträumt, zurück nach Deutschland zu kommen, aber nicht so wie jetzt. Jetzt, wo ich hier bin, möchte ich bleiben, eine Arbeit finden und Deutschland zurückgeben, was es mir gegeben hat.”
Zu Hause geht das Leben in Kiew weiter. Um einen Hauch von Normalität zu schaffen, beschloss sie, die Hochzeitskleider in den Schaufenstern zu lassen. „Alle meine Kollegen sind ebenfalls fortgegangen, aber wir haben beschlossen, unsere Produkte auszustellen, als kleines Symbol dafür, dass das Leben weitergeht.”
Tetiana zögert nicht, wenn sie gefragt wird, woher sie ihre Kraft nimmt. „Mein Sohn... Niemand weiß wirklich, wie man damit umgehen soll, aber für mich ist allein der Wunsch, ihm eine echte Kindheit zu ermöglichen, bei der er zur Schule gehen kann, ohne den Fliegeralarm hören zu müssen, was mich antreibt.“
Dieser Artikel wurde von Jorge Galindo, Communications Officer des Global Data Institute der IOM, jgalindo@iom.int, verfasst.