Umweltbedingte Migration ist – genauso wie andere Arten der Migration – genderspezifisch. Die Bedürfnisse und Prioritäten von Migrant:innen unterscheiden sich je nach Geschlecht, wie auch die Risiken, denen sie auf ihrem Weg ausgesetzt sind.

Migrant:innen haben oft einen unterschiedlichen Zugang zu Informationen, Ressourcen oder Beschäftigungsmöglichkeiten, vor allem wenn sie an einen neuen Ort oder in andere Länder kommen. Bestehende Ungleichheiten müssen erkannt und beseitigt werden.

Umweltbedingte Migration braucht genderspezifische Antworten

Wir brauchen angemessene und nachhaltige Antworten auf die umweltbedingte Migration, die die geschlechterbezogenen Bedürfnisse und Auswirkungen berücksichtigen. Denn die Fähigkeit der Menschen sich an die Klimaveränderungen anzupassen, und ihre Entscheidungen, ob und wie sie migrieren, sind durch geschlechterspezifische Ungleichheiten beeinflusst.

Zum Beispiel im Südsudan, der im dritten Jahr in Folge von massiven Überschwemmungen betroffen ist. Große Teile des Landes stehen unter Wasser, mehr als 2 Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben und haben ihre Lebensgrundlage als Kleinbäuer:innen verloren. 60 Prozent der Bevölkerung haben nicht genug zu essen. Viele davon sind Frauen. Nachdem in den jahrelangen Konflikten ein Großteil der Männer ums Leben gekommen ist, sind sie es, die mit den Folgen des Krieges und der Überschwemmungen kämpfen. Obwohl sie vielen Gefahren ausgesetzt sind und ihre Möglichkeiten häufig begrenzter sind, entwickeln sie wirkungsvolle Anpassungsstrategien und verbessern durch ihre Gestaltungskraft die eigene Situation und die ihrer Gemeinschaft.

Die stellvertretende Vorsitzende des Komitees für Wassermanagement in Jebel Kheir, Veronica Raphael Yor. ©IOM 2021 / Andreea Campeânu

„Wir waren das erste Komitee in dieser Gegend, das hauptsächlich aus Frauen bestand, und ich weiß, dass viele skeptisch waren, ob wir der Situation gewachsen sein würden", erzählt Veronica Raphael Yor, eine sechsundvierzigjährige Mutter von fünf Kindern. Sie lebt in Jebel Kheir, einem Dorf in der Region Bahr el Ghazal im Westen des Südsudan, und ist stellvertretende Vorsitzende des lokalen Komitees für Wassermanagement, das sich aus 12 Dorfbewohner:innen zusammensetzt, von denen acht Frauen sind. Davor waren Führungsaufgaben Männersache, in den Gemeindeversammlungen hatten ausschließlich Männer das Sagen. Jetzt sind die Frauen für die Verwaltung von drei kommunalen Wasserstellen mitverantwortlich, die mehr als 4.500 Personen mit sauberem Trinkwasser versorgen. Veronica und den anderen Komiteemitgliedern gelangen in kurzer Zeit substantielle Verbesserungen beim Wassermanagement.

 „Was wir mit dem von Frauen geführten Komitee für unsere Gemeinschaft erreicht haben, hat auch andere Frauen ermutigt und gezeigt, dass wir die Fähigkeit haben, zu führen und etwas zu bewirken.“

Frauen als Schlüssel zur Bewältigung von Klimafolgen

Das Beispiel zeigt, wie die Stärkung der Rolle der Frauen im Südsudan den Gemeinschaften helfen kann, die Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen und zu schrittweisen gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen.

Denn Frauen spielen in ihren Familien und Gemeinschaften eine wichtige Rolle, indem sie ihre Familien versorgen und Ressourcen bereitstellen, Migration ermöglichen und sich an damit einhergehende Veränderungen anpassen. Sie sind wirkungsvolle Akteurinnen, Anführerinnen, Anpasserinnen.

Ihr Beitrag ist zur Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels essentiell. Wir brauchen die Beteiligung aller Geschlechter, damit politische Maßnahmen auf geschlechter¬spezifische Fähigkeiten, Wissen und Perspektiven aufbauen können. Nur so kann gewährleistet werden, dass sie wirksam sind und bestehende Ungleichheiten nicht verschlimmert oder neue geschaffen werden.

Frauen, insbesondere Migrantinnen, müssen die Möglichkeit haben, sich aktiv an der Bekämpfung des Klimawandels zu beteiligen und Anpassungsstrategien umzusetzen.

Dieser Beitrag wurde von Jean-Philippe Chauzy zum Internationalen Frauentag 2022 verfassst. Er ist Leiter von IOM Deutschland und arbeitet seit mehr als 20 Jahren für die Internationale Organisation für Migration, unter anderem leitete er die IOM-Büros in der Republik Südsudan und in der Demokratischen Republik Kongo. Von 2013 bis 2015 war er Kommunikationsdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in Rom.